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Karin Herrero |
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Nach vier Stunden Paddeln auf stillen
Flüssen und Buchten, bei dem wir einen Alligator und mehrere
Delfine zu Gesicht bekommen, landen wir beim Sunday Bay Chickee,
einem Pfahlbau am nördlichen Rande einer kleinen Bucht, die von
der Sunday Bay abzweigt. Zwar haben wir für diesen Zeltplatz
keine Reservierung, aber er sieht so einladend aus, daß wir uns
entschließen bis zum Sonnenuntergang hierzubleiben, und, sollte
niemand auftauchen, hier die Nacht zu verbringen.
Das Chickee ist eine Erfindung der
Everglades Indianer. Sie bauten diese offenen, mit Palmdächern
versehenen Pfahlbauten auf Stränden, entlang von Flüssen oder
in geschützten Gewässern. Die gutbelüfteten Bauten, eine
anständige Dosis Fischöl, das auf die Haut geschmiert wurde,
und Rauchfeuer halfen den Indianern, sich die Moskitos vom Leib
zu halten.
Sonnenuntergang, und wir haben das
Sunday Bay Chickee ganz für uns allein. Wir entspannen auf der
sonnenwarmen Bank und beobachten Vögel, springende Fische und
Wolken. Die Insekten halten sich in Grenzen, und da wir hinter
einer kleinen Insel versteckt liegen sind wir außer
Sichtweite von vorbeifahrenden Motorbooten auf dem kaum 1 km
entfernten Wilderness Waterway.
Der nächste Morgen ist neblig und
windstill. Wir verlassen Sunday Bay Chickee und begeben uns auf
den Weg zur Küste, nach Everglades City, indem wir der Route
des Hurddles Creek und Turner River folgen. Es ist enspannend,
sich nicht um Wind und Wellen sorgen zu müssen, aber die
Austernbänke in der Mündung des Turner River verlangen
vorsichtiges Navigieren. Die nächste Herausforderung wartet auf
uns am Eingang zur Chokoloskee Bay, wo wir wegen der Ebbe fast
auf Grund auflaufen. Nach einigen Augenblicken der Panik
entdecken wir eine enge Fahrrinne mit genügend Wasser und wir
paddeln unter der Brücke hindurch und steuern auf das
Verwaltungsgebäude des Nationalparks zu, das durch einen hohen
Flaggenmast erkennbar ist. Aber wo können wir an Land gehen?
Kein Strand ist in Sicht. Wir paddeln in einen Jachthafen und
vertäuen das Boot an einem Dock vor dem Parkverwaltungsgebäude.
Während Jake in dem Gebäude Informationen einholt, passe ich
auf das Boot auf und beobachte die gutgekleideten Touristen, die
an der Pier entlangschlendern. Endlich kommt Jake zurück. Er
berichtet, daß wir wieder zurück zur Brücke und unter sie
hindurch müssen, um in den Kanal zu gelangen, der zum im
Privatbesitz befindlichen Glades Haven Marina mit Zeltplatz
führt. Nach einigen weiteren besorgniserregenden Augenblicken
in der schnell ebbenden Bucht schaffen wir es zur Marina. An
einer verschlickten Bootsrampe ziehen wir das Kajak aus dem
Wasser. Von dort müssen wir es mehrere hundert Meter zu einem
uns zugeordneten Grasflecken zwischen Motorhomes und
Wohnanhängern tragen. Es ist was ganz anderes als unsere
stillen Strandzeltplätze und wir kriegen es mit der Angst zu
tun, als nach Sonnenuntergang ein kleiner Lastwagen das Gelände
mit Insektenschutzmittel besprüht. Der einzige Trost ist die
Duschanlage und der Waschsalon.
In Everglades City bleiben wir gerade
lang genug um uns zu waschen, noch etwas Proviant zu kaufen und
unsere Genehmigung für den Park zu erneuern. Am nächsten
Morgen paddeln wir nach Westen über die Chokoloskee Bay und
dann folgen wir dem Sandfly Pass, einer Passage, die zwischen
den Inseln zum Golf führt. Am Vormittag erreichen wir unser
Tagesziel, Kingston Key, eine Insel, die in der Mitte fast
durchtrennt ist. Der Zeltplatz hier ist ein Chickee, das in
einer Lagune liegt. Das Chickee war einst ein Dock, aber die
Insel verlagerte sich und die Verbindung zum Dock wurde
abgeschnitten. Die Nationalparkverwaltung fügte dem Dock einen
Pfahlbau-Zeltplatz hinzu. Da wir noch früh dran sind und es
gerade Ebbe ist entscheiden wir uns den Strand aufzusuchen, der
die beiden Inselteile verbindet.
Den
Nachmittag verbringen wir mit Faulenzen, Schwimmen, und der
Beobachtung von Delfinen, die Fische vor sich herjagen. Als die
zurückkehrende Flut unseren Strand schrumpfen läßt, paddeln
wir zum Chickee hinüber. Jetzt reicht das Wasser fast bis zur
Plattform und es ist ein Leichtes, das Boot auszuladen. Aber wir
sind besorgt, es über Nacht im Wasser zu lassen. Beim Sunday
Bay Chickee hatte Jake unser Kajak vor den mit Seepocken und
Austern verkrusteten Pfählen geschützt, indem er es an die
Paddel band, die er in den schlammigen Meeresboden steckte. Hier,
wo die Gezeitenunterschiede und die Wellen höher sind,
befriedigt uns diese Lösung nicht, und wir ziehen das Boot aus
dem Wasser. Eine gute Vorsicht, denn in der Nacht nimmt der Wind
an Stärke zu. Einmal wache ich auf und höre das Wasser laut
gegen die Pfähle schlagen. Am Morgen setzen wir das Boot ins
Wasser bevor der Wasserspiegel zu weit absinkt. Bis wir dann zum
Laden bereit sind, ist das Wasser schon so weit gesunken, daß
wir die Leiter hinunterklettern müssen um das Cockpit zu
erreichen. Wieder haben wir Sonne und klarer Himmel. Um auf die
Flut zu warten kehren wir wieder zum gleichen Strand zurück. Am
Nachmittag tauchen drei Kajaker und zwei Kanuten auf. Die
Kajaker, Angestellte eines Kajaktourenveranstalters in Virginia,
sind auf einer Tagestour. „Seid ihr auf Wochenendtour?"
fragt uns einer der Paddler. Jake erwähnt, daß wir auf einer
‘mehrtägigen’ Reise sind, die in Key Largo begann. „Das
ist eine Tour, die ich mir schon seit langem vorgenommen habe,"
sagt der Kajaker. Gegen 14 Uhr verlassen wir den Strand und
paddeln in nördlicher Richtung zum Tiger Key, wo sich der
nördlichste Zeltplatz im Nationalpark befindet. Unterwegs
passieren wir Indian Key, auf dem Hunderte von weißen Pelikanen
auf einer Sandbank sitzen, und dann Picnic Key, wo wir am Strand
mehrere Zelte sehen. Unser Zielort, Tiger Key, kann jedoch nur
durch eine seichte Bucht erreicht werden, und so haben wir den
Strand ganz für uns allein. Von dort haben wir eine unbegrenzte
Sicht über den offenen Golf von Mexiko und werden mit einem
rotgoldenen Sonnenuntergang belohnt, dem die Stechmücken folgen
und dann ein Park Ranger in seinem flachen Motorboot, der unsere
Nationalparkgenehmigung überprüft. Er ist von unserem
Unternehmen begeistert, bleibt aber nicht lange, da die Mücken
zur Plage werden. Da wir am nächsten Tag den Nationalpark
verlassen werden, fragen wir ihn wie die Zeltmöglichkeiten
weiter nördlich sind, aber leider weiß er darüber nicht viel
Bescheid.
Vom
Tiger Key folgen wir der Küste nach Norden zum Coon Key, einer
kleinen Insel in der Gullivan Bay, in der nördlichsten Ecke des
Ten Thousand Island National Wildlife Refuge Schutzgebietes. Mit
Wind von Südost segeln wir die 19 km in weniger als drei
Stunden, fast ohne paddeln zu müssen. Eine kurze Zeit lang
sehen wir die Hochhäuser von Marco Island am Horizont bevor sie
durch die mit Mangroven bedeckte Küste verdeckt werden.
Unsere letzte Nacht in der Wildnis.
Zahlreiche Motorboote und ein paar Jet Skier (Motorscooter mit
Wasserski) rasen vor unserem kleinen Strand von Coon Key vorbei.
Nachdem sich der Bootsverkehr gelegt hat schlagen wir diskret
unser Zelt auf und entfachen ein Lagerfeuer. Noch einmal
vertiefen wir uns in die Geschichte von Mr. Watson und genießen
das Geräusch
der Wellen ein paar Meter von unserem Zelt. Ich frage mich wie
weit wir morgen kommen werden und wo unsere Kajaktour enden wird.
Kurz nach einem goldenen Sonnenaufgang
sind wir auf dem Wasser unterwegs. Während wir durch eine
Fahrrinne paddeln, die zur Caxambas Passage führt, sind wir
wieder von Mangroven umringt, aber bald schon deuten ein Schild
mit der Aufschrift „Manatee Zone" und die hohen
Hotelgebäude von Marco Island das Ende der Wildnis an. Nach 17
Tagen im Nationalpark, mit nur kurzen Stops in kleinen
Siedlungen, versetzt uns der Anblick der Hochhäuser einen
Schock. Bei der Umrundung der Spitze von Marco Island am Eingang
zur Caxambas Passage stoßen wir aufgrund der ausströmenden
Ebbe auf kabbeliges Wasser. Wir paddeln hart bis wir wieder in
stillerem Wasser sind, und gleiten dann an piekfeinen Hotels und
palmenumsäumten Stränden vorbei, wo Leute joggen und sich im
Wasser vergnügen.
Wir
hoffen, daß wir es bis zum 15 km nördlicher gelegenen Naples
schaffen, aber der Wind macht uns einen Strich durch die
Rechnung. Gegen 10 Uhr bauscht sich eine Masse von
Kumulonimbuswolken am nördlichen Horizont auf. Und dann ändert
sich die Windrichtung auf Nordwest. Obwohl uns bewußt ist, daß
eine Kaltfront angesagt ist, haben wir sie nicht so früh
erwartet. Bei zunehmender Windstärke halten wir Ausschau nach
einem sicheren Landeplatz und steuern auf den Strand zu.
Innerhalb weniger Minuten nach unserer Landung ist der Wind zum
Sturm angewachsen, der dem blau-grünen Wasser weiße
Schaumkronen versetzt. Eine Frau und ihr Teenager sehen wie wir
uns mit dem Boot abrackern und sie bieten ihre Hilfe an, das
Boot zu einem manikürten Rasen mit palmblattgedeckten
Picknickhäuschen zu tragen. Neben dem Rasen befindet sich eine
Imbißstube und ein Springbrunnen. Aber uns bleibt keine Zeit,
uns über den mustergültigen Park zu wundern. Eine Frau
mittleren Alters, in makellosen weißen Shorts, taucht aus einem
Parkwächterhäuschen auf und sagt, daß wir hier nicht bleiben
dürfen, da dies ein Privatstrand ist. Die Tatsache, daß wir
von Key Largo bis hierher gepaddelt sind, und daß wir das Boot
zusammenpacken und innerhalb weniger Stunden verschwinden werden,
läßt sie ungerührt. „Auf keinen Fall könnt ihr hierbleiben,"
setzt sie sich durch. So endet unsere 250 km lange Kajaktour auf
dem Gehsteig in einer der nobelsten Gegenden der USA. Für mich
fühlte es sich so an, als ob die Zivilisation uns mit aller
Macht zurückforderte.

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