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Karin Herrero |
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Jake, mein Mann, und ich flogen von
Calgary in der Provinz Alberta, Kanada, nach Miami, wo wir einen
Shuttle Bus nach Key Largo nahmen, das ungefähr 90 km südlich
von Miami und knapp 2 km östlich der Nationalparkgrenze liegt
und Ausgangspunkt unserer Kajakreise war. Ohne vorherige
Begutachtung hatten wir ein 5 m langes Faltboot von einem US
Hersteller gekauft und ließen es an unser Hotel in Key Largo
anliefern, wo wir es dann vom Hotelstrand in die Florida Bay zu
Wasser ließen. Es war Anfang Dezember und wir hatten insgesamt
19 Tage zur Verfügung. Während der Winter seinen Griff auf den
meisten Teil von Kanada und die nördlichen USA verstärkte,
hatte eine Kaltfront die Hitze und Luftfeuchtigkeit in Florida
gemäßigt und versprach klaren Himmel und beständige Winde.
In einem Paddelsportgeschäft in Key
Largo kauften wir die letzen Vorräte, einschließlich Seekarten
und einen Führer, der die Routen in den Everglades beschrieb,
und dann skizzierten wir unsere Route: über die Florida Bay
nach Flamingo, wo wir unseren Proviant wieder auffrischen und
unsere Genehmigung zum Zelten im Nationalpark erneuern würden,
dann weiter in westlicher Richtung in den Golf von Mexiko, wo
wir das Cape Sable umrunden und entlang der Küste nach Norden
paddeln würden. Bei der Flußmündung des Chatham River wollten
wir ins Landesinnere vorstoßen und verschiedenen
Binnenwasserstraßen folgen, bis wir Everglades City erreichten.
Dort wollten wir nochmal unsere Vorräte auffrischen und, wenn
uns noch Zeit blieb, weiter nach Norden paddeln. Zwar hatten wir
von dem Wilderness Waterway gehört, der bedeutendsten
Route im National Park (eine 160 km lange
Binnenwasserstraßenroute, die von Flamingo nach Everglades City
führt), aber wir entschieden uns, die Küste entlangzupaddeln
nachdem wir erfuhren, daß die Küste mehr Chancen zum
Alleinsein bietet, die Insekten dort nicht so schlimm sind, und
es mehr Erde gibt, auf der man sich die Beine vertreten kann.
(Jake taufte den Wilderness Waterway die „Wildnis
Motorstrasse", nachdem er in dem Buch A Paddler’s
Guide to Everglades National Park gelesen hatte, daß dies
nicht die gewünschte Route ist, wenn man Motorbootverkehr
vermeiden will.) Wir ließen jedoch die Möglichkeit offen ins
Landesinnere zu entweichen, sollte das Wetter stürmisch werden.
Beladen
mit Zeltausrüstung, Trinkwasser, und selbstgetrockneten
Mahlzeiten lassen wir das Kajak in der Florida Bay zu Wasser.
Wir wollen zum North Nest Key paddeln, einer mit Mangroven
bedeckten Insel, auf der man an kleinen Stränden zelten darf.
Wir betrachten die 12 km lange Reise als Probefahrt, um die
Leistungen des Kajaks (und der Crew) zu testen und festzustellen,
ob beide das Zeug haben für die am nächsten Tag vorgesehene 32
km lange Fahrt zum Shark Point (auf dieser Strecke gibt es keine
anderen offiziellen Zeltplätze). Bald schon gleiten wir durch
salbeigrüne, durch eine leichte Nordost Brise gekräuselte
Wellen. Trotz weißer Wolkenstreifen am Himmel ist das
Sonnenlicht intensiv und wir holen unsere Sonnenhüte und
Sonnencreme hervor. Nach einer knappen Stunde treffen wir auf
die ersten Mangroveninseln: zwei tiefliegende, mit einem dichten
Blätterdach versehene Erhöhungen, die auf einem Sockel von
undurchdringlichem, teils unter dem Wasser befindlichen
Wurzelgeflecht sitzen. Jake sichtet eine enge Passage zwischen
den Inseln und wir gleiten in ruhiges Wasser. Mit unseren
Paddeln und Schultern streifen wir das Geäst. In wenigen
Minuten sind wir durch und paddeln auf zwei größere Inseln zu.
Auf der windstillen Leeseite der zweiten Insel machen wir kurze
Pause. Die tiefbewaldeten Inseln lassen keine Landung zu, aber
wenn man sich in der flachen Florida Bay einmal die Beine
vertreten will, ist das weiterhin kein Problem. An vielen
Stellen kann man einfach aus dem Boot steigen und im knietiefen
Wasser stehen.
Die auf den Seekarten der Florida Bay
markierten Tiefen übersteigen fast nie 2,70 m, und hier im
östlichen Teil der Bucht schwanken sie zwischen 0,30 und 2,10
m. Während der nächsten drei Tage sahen wir oft Vögel
meilenweit vom Land entfernt im Wasser stehen, und wir stießen
auf viele markierte, ausgebaggerte Fahrrinnen, die eine Passage
für größere Boote ermöglichen.
Am frühen Nachmittag kommen wir auf
North Nest Key an, befestigen das Kajak am Dock und laufen den
kleinen Sandstrand entlang. Nachdem wir das Zelt aufgebaut haben,
üben wir ein Rettungsmanöver im warmen, flachen Wasser der
Bucht. Mit viel Anstrengung gelingt es uns, das Boot zu kentern.
Die außergewöhnliche Stabilität des Bootes beruhigt uns.
Faltkajaks sind äußerst seetüchtig, da sich der biegsame
Rumpf dem Wellengang anpaßt.
Mit dem Sonnenuntergang kommen kleine
No-see-um Mücken hervor. Das Abendessen kochen wir auf dem
Dock, da dort eine Brise die Insekten vertreibt. Dann tragen wir
das Boot auf den Strand und packen das meiste unserer
Ausrüstung, um frühmorgens startbereit zu sein. Um 19 Uhr sind
wir im Zelt und lauschen auf das Konzert der Grillen und das
sanfte Rauschen der Wellen 1 m von unserem Zelt entfernt. Vor
Sonnenaufgang brechen wir das Zelt ab, essen hastig unser
Frühstück und paddeln los sobald wir genügend Tageslicht
haben. Ein bewölkter Himmel bietet Erleichterung vom intensiven
Sonnenlicht. Ein Nordostwind ermutigt uns, unseren rot-weiß
gestreiften Golfschirm zu öffnen (ungefähr dreimal so groß
wie ein normaler Regenschirm) und wir segeln in westlicher
Richtung, vorbei an unzähligen Mangroveninseln. Es ist Samstag
und der zunehmende Motorbootverkehr ist sichtlich erkennbar.
Motorboote fahren an uns vorbei (die meisten drosseln im
Vorbeifahren ihren Motor). In einer der Fahrrinnen überraschen
wir ein Paar in einem Motorboot, als wir mit unserem
ungewöhnlichen „Segel" vorbeigleiten. „Wo kommt Ihr
denn her?" fragt der Mann überrascht. Da unser Boot nur 10
cm Tiefgang hat nehmen wir öfters Abkürzungen über seichte
Stellen in Buchtmündungen (sowas würde die Crew eines
Motorboots nicht tun). Dabei streichen wir mit dem Kiel über
Seegräser und unsere Paddel berühren den Meeresboden.
Gegen
15 Uhr 30, als das Sonnenlicht an Intensität verliert, paddeln
wir am Ufer entlang und suchen die Einfahrt zum Zeltplatz von
Shark Point. Aber es scheint keinen Durchbruch in dem
Mangrovendickicht zu geben. Jake holt sein GPS Gerät hervor und
prüft unseren Standort. Und dann sehen wir die Einfahrt: eine
kleine Unterbrechung im Dschungel, ein Strand, gerade groß
genug um ein oder zwei Boote zu landen. Sobald der Bug den
Strand berührt, steige ich aus meinem Sitz, ziehe den Bug
höher auf den Strand, und renne ins Dickicht um auf die Wildnis-Toilette
zu gehen. Sofort werde ich von einer Wolke von Moskitos
umschwärmt und ich eile zum Boot zurück um meine
Insektenschutzjacke (mit Maschennetz vor dem Gesicht) und lange
Hosen überzustreifen. Wir hieven das Boot aus dem Wasser und
schleppen es über schwarzen Morast und verfaulte Pflanzen bis
zu einem ebenen Platz im Dickicht, wo wir das Zelt aufbauen und
dann sofort hineinkriechen um den Insektenschwärmen zu
entfliehen. Zwar befindet sich hinter den Mangroven eine
größere Lichtung, aber da sind die Insekten noch
unerträglicher. Wir fragen uns warum dieser Ort als Zeltplatz
benutzt wird. Später auf unserer Reise wird uns bewußt, daß
in den Everglades hochgelegener, trockener, zum Zelten
geeigneter Boden rar ist. Die höchste Erhebung in den
Everglades liegt 2,40 m über dem Meeresspiegel. Bei
Sonnenuntergang erwacht der Dschungel zum Leben. Grillen und
Frösche stimmen ein ins Konzert der Moskitos, Fische und
Strandvögel platschen am Rand des Ufers, irgendwas flitzt durch
die Bäume (eine Fledermaus? ein Kolibri?), und die winzigen
Funken der Glühwürmchen tanzen im Dunkeln. Nachdem wir unser
Abendessen im Zelt beendet haben wage ich mich noch einmal
hinaus. Ohne mich von den Insekten einschüchtern zu lassen
wasche ich das Geschirr ab und hänge unsere Lebensmittelsäcke
in die Bäume um sie von kleinem Getier fernzuhalten. Wir sind
müde, aber froh, es bis hierher geschafft zu haben.
Am Morgen ist der Nordostwind wieder da,
aber die Moskitoes lassen sich davon nicht abschrecken und wir
können kaum warten, von ihnen wegzukommen. Als wir unterwegs
sind, ziehen wir wieder unseren Schirm hoch und segeln über
Snake Bight, eine große, flache Bucht, in die sich die meisten
Motorboote nicht hineinwagen. An einigen Stellen ist das Wasser
nur so tief wie eine Paddelschaufel.
Als wir uns am frühen Nachmittag der
Siedlung von Flamingo nähern erkennen wir, daß es keinen
Strand gibt, wo Paddelsportler ihre Boote an Land ziehen können.
Stattdessen gibt es einen Jachthafen mit Docks. Zum Glück
erlauben uns die Leute eines Kanuverleihgeschäfts unser Kajak
vorübergehend am Ende ihres Docks festzumachen. Überzeugt,
daß unser Kajak hier einigermaßen sicher ist, verlassen wir es
und gehen zum Besucherzentrum des National Parks, wo wir unsere
Genehmigung erneuern lassen, nachdem wir uns Kalamari und
Hamburger im angrenzenden Restaurant gegönnt haben. Im
klimatisierten Speiseraum, an einem Fenster sitzend, erleben wir
die Everglades aus der Perspektive der Touristen. Im WC genieße
ich das Gefühl von weichem Wasser, als es über meine durch
Salzwasser ausgetrockneten Hände läuft.
Mit einem Trinkwasser Vorrat für mehr
als 10 Tage, und dem Buch von Peter Matthiessen, Killing Mr.
Watson, (am Abend lesen wir uns gegenseitig aus diesem Roman
vor, der vom Leben des berüchtigten Mr. Watson handelt, der
mehr als 20 Jahre in den Everglades lebte, bis er 1910 gelyncht
wurde), sind wir bereit für den längsten Teil unserer Reise.
Es ist jedoch schon 16 Uhr, nur noch 1 ½ Stunden bis zum
Sonnenuntergang, und wir müssen noch ca. 6 km zum nächsten
Wildnis-Zeltplatz, der Clubhouse Beach, paddeln. Mir paßt das
garnicht, aber Jake hat recht: eine Übernachtung in der
Flamingo Lodge würde ein großes Loch in unseren Geldbeutel
reißen, und außerdem, wo würden wir das Kajak über Nacht
lassen?
Während wir in westlicher Richtung in
einen goldenen Sonnenuntergang hineinpaddeln, passieren wir eine
große Rasenfläche in Strandnähe: ein Privatcampingplatz (der
nicht vom NationalPark verwaltet wird). Wir entscheiden uns, es
hier zu versuchen. Die Zeltplätze liegen auf erhöhtem Boden,
ungefähr 60 cm über der Wasserlinie. Im seichten Wasser
entladen wir das Kajak und lassen es dann schwimmen, nachdem wir
die Bugleine an einen Picknicktisch und eine andere Leine an
einer Mangrovengruppe vertäuen. Genau wie unsere Nachbarn
kriechen auch wir schnell ins Zelt um den Moskitos zu entweichen.
Zum Glück kommt um 20 Uhr ein kühler Nordwind auf, der die
Insektenschwärme vertreibt. Aber in der Nacht läßt uns ein
frecher Waschbär keine Ruhe. Am Morgen finden wir schmutzige
Fußspuren am Bootsrumpf und Zahnabdrücke auf unserer
Imbißdose, die im Cockpit verstaut war.
Unsere Route führt uns nun um das Cape
Sable, die südlichste Spitze auf dem Festland der USA. Hier
gehen die Mangrovenwälder in lange, von Muschelschalen bedeckte
Strände über, an die eine Prärielandschaft mit Kakteen,
Agaven, und Palmen grenzt. Die nächsten drei Tage genießen wir
fabelhaftes Zelten am Strand, einschließlich Lagerfeuer und
lange Spaziergänge, Paddeln mit Delfinen, und wunderschöne
Sonnenuntergänge, da wir eine unbegrenzte Sicht nach Westen
über den offenen Golf von Mexiko haben. Sogar die Insekten sind
nicht mehr so schlimm, der Motorbootverkehr läßt nach,
Regenwolken ziehen vorüber ohne mehr als ein paar Tropfen
abzugeben, und die Waschbären sind zufrieden mit dem, was ihnen
das Meer bei Ebbe liefert. Wir verbringen zwei Nächte am East
Cape und paddeln dann die knappen 15 km zum Northwest Cape.
Unterwegs umrunden wir das Middle Cape, einst der Standort von
Fort Cross, das 1850 als ein Stützpunkt für US Soldaten
errichtet wurde, die versuchten, die Seminolen Indianer im
Landesinnern auszumerzen. Heute ist von diesem Fort nichts mehr
übrig. Kurz danach passieren wir den Middle Cape Canal, der
Lake Ingraham mit dem Golf verbindet. Da uns vor den starken
Gezeitenströmen vor der Mündung gewarnt wurde, richten wir es
so ein, daß wir die Mündung in der Zeit zwischen dem
Gezeitenwechsel überqueren.
Kurz nach unserer Landung am Northwest
Cape sichten wir einen einsamen, nach Süden fahrenden Paddler
auf dem glitzernden Meer. Er landet mit seinem kleinen Boot in
der Nähe unseres Kajaks und wir unterhalten uns wie es so
üblich ist, wenn man sich in der Wildnis begegnet. Siggy, ein
in New York lebender Pole, erzählt, daß er auf einer
viertägigen Rundfahrt ist, die er in Flamingo begann. Zuerst
folgte er den Wasserwegen im Landesinnern bis zur Oyster Bay und
nun ist er auf dem Rückweg auf der „Außenseite". Sein
Boot ist klein und seine Vorräte begrenzt (er lebt von einem
täglichen Trinkwasservorrat von 1,5 Litern). Er gibt zu, noch
nie zuvor auf dem offenen Meer gefahren zu sein. Ich bewundere
seinen Mut. Wir sind überzeugt einen Nachbarn gefunden zu haben,
aber er verkündet, daß er weiter südlich zelten will und
fährt wieder ab. Seit unserer Umrundung des East Cape am Morgen
haben wir gegen einen beständigen Nordost-Nordwestwind
angekämpft. Jake sinniert laut, daß Siggy ohne Schirm die
Chance zu einem großartigen Segeltörn verpaßt hat.
Hier geht die Reise weiter... |
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